Dynamic Product Development – Ansatz III zur Gestaltung von Innovationsprozessen
Während Methoden wie Simultaneous Engineering, Concurrent Engineering oder Front Loading vorwiegend bei Produktverbesserungen eingesetzt werden, eignet sich der Dynamic Product Development Prozess vor allem für radikale Innovationen. Anders als die klassische Sichtweise, eine möglichst genaue Planung vor den ersten Entwicklungsschritten zu machen, ist die Planung in sehr kurzen Zeitabständen zu machen. Ottosson beschreibt dies wie folgt:
“Perhaps a shocking statement is that meaningful planning can only be done in very short periods of time, down to minutes in the early stages of product development when new ideas and findings can suddenly totally change the whole planning situation.”
Dynamic Product Development (DPD) basiert auf einem ganzheitlichen Ansatz. Der Prozess startet mit einem Wunsch und nicht mit einem Bedarf, wie andere Ansätze zur Gestaltung von Innovationsprozessen. Dieser Wunsch stellt eine zukünftige Situation bzw. Lösung dar.
Viele herkömmliche Ansätze von Entwicklungsprozessen starten mit Anforderungen und Bedürfnissen vom Markt. Bestehende Lösungen werden verglichen und bewertet. Erkenntnisse daraus fließen in die Modifikation der Idee mit ein, bevor ein kreativer Prozess gestartet wird. Dies hat jedoch zur Folge, dass häufig nur einzelne Details verbessert werden, völlig neue, radikale Innovationen aber nur sehr selten entstehen. Ist hingegen ein definierter und visualisierter Wunsch über zukünftige Zielvorstellungen und Lösungen Startpunkt der Entwicklung und wird basierend darauf ein kreativer Prozess gestartet, sind die Rahmenbedingungen für eine einzigartige, neue Lösung geschaffen.
Anmerkung: Ein ähnlicher Zugang bzw. eine ähnliche Vorgehensweise wurde hier auf diesem Blog bereits einmal dargestellt. Dies geschah im Rahmen der „Blue Ocean Strategy“!
Folgende Auflistung soll einen Überblick über die wesentlichen Rahmenbedingungen und Inhalte des Dynamic Product Development geben:[1]
- Eine klare Vision des erwarteten Resultats muss kommuniziert und von jedem am Produktentwicklungsprozess beteiligten Mitarbeiter verstanden werden
- Ein Konzept ist von einer eigens dafür vorgesehenen Gruppe zu erstellen - der Projektleiter ist auch in der Konzeptgruppe
- Zwischen dem Team der Produktentwicklung und der Konzeptgruppe ist ein ständiger Austausch von Informationen erforderlich
- Um auf Veränderungen und neue Möglichkeiten reagieren zu können, muss das Konzept im Zuge der Produktentwicklung kontinuierlich angepasst werden
- Die Entwicklung erfolgt in Projektteams, welche sich bei Bedarf ebenso dynamisch ändern
- Die Einbeziehung des Kunden in den Entwicklungsprozess ist entscheidend für Dynamic Product Development
- Das Pareto Prinzip (80/20- Regel) soll schrittweise bei allen Aktivitäten
adaptiert werden
- Informationsaustausch hat schnell, unlimitiert und in regelmäßigen Abständen zu erfolgen
Dynamic Product Development zeigt vor allem in den frühen Phasen des Entwicklungsprozesses klare Vorteile, setzt jedoch erfahrene Teammitglieder voraus. Erst in einer späteren Phase, wenn Detailarbeit zu leisten ist, ist der Einsatz wenig erfahrener Mitarbeiter anzuraten.
[1] Vgl. zur vollständigen Auflistung der Rahmenbedingungen und Inhalte sowie einer ausführlichen Beschreibung des Dynamic Product Development Ottosson 2002, S. 209f.
Parallelisierung: Ansatz II zur Gestaltung von Innovationsprozessen
Im Zuge der Produktentwicklung ist die Reduzierung der Entwicklungsdauer und -kosten oft wichtige Zielsetzung. Weiters sollten durch eine möglichst frühe Abstimmung verschiedener am Entwicklungsprozess beteiligter Bereiche aufwändige Änderungen vermieden und die Produktqualität in umfassendem Sinn verbessert werden. Im Entwicklungsprozess ist deshalb die simultane Entwicklung von Produkt-, Produktions- und Marketingentwicklung zu berücksichtigen.
Durch Simultaneous Engineering können beispielsweise verschiedene Produkte oder Generationen, einzelne Phasen des Entwicklungsprozesses oder lediglich Designaktivitäten auf verschiedenen Detailebenen parallel entwickelt werden.
Concurrent Engineering ermöglicht beispielsweise die simultane Entwicklung aller für die Neuproduktentwicklung benötigten Prozesse und Informationen. Concurrent Engineering ist gekennzeichnet durch das Arbeiten im Team, das auch für die gesamte Entwicklung verantwortlich ist. Dieses Team trifft sich zu regelmäßigen Meetings, welche den schnellen und effizienten Austausch von Informationen ermöglichen. Kosten für Produkt- und Prozessentwicklung bei Concurrent Engineering steigen im Verhältnis zu sequentiellen Prozessen stark am Beginn der Entwicklung, da in den frühen Phasen sehr intensive Arbeit geleistet wird. Die Kosten der Produktion hingegen steigen nur langsam und sind aufgrund kurzer Iterationsschleifen für Modifikationen geringer als bei sequentiellen Prozessen. Insgesamt kann durch die Überlappung von Projektaktivitäten davon ausgegangen werden, dass bei gleicher oder sogar besserer Qualität, Entwicklungszeit und -kosten gesenkt werden können.
Front Loading hat zum Ziel, durch Transfer von problembezogenen Informationen aus früheren Projekten die Gesamtsumme an zu lösenden Problemen im Entwicklungsprozess zu reduzieren. Durch die Anwendung geeigneter Methoden und Technologien soll weiters die Geschwindigkeit der Problemlösung erhöht werden. Voraussetzung für Front Loading ist, dass ähnliche Probleme bereits früher im Unternehmen gelöst wurden und somit Informationen früher im Prozess zugänglich sind. Das ist bei inkrementalen Innovationen der Fall, sowie bei Innovationen, die auf bestehendes Markt- und Technologiewissen aufbauen.
Als besonders wichtig beim Parallelisieren von Prozessen haben sich leistungsfähige und gut funktionierende Informations- und Kommunikationswege herausgestellt. Nur durch einen raschen und unkomplizierten Datenaustausch kann ein effizientes Vorgehen gewährleistet werden.
Mögliche Einsatzbereiche:
- Bereits sehr früh im Entwicklungsprozess ist es sinnvoll, Projektaktivitäten zu parallelisieren. So kann es im Zuge der Anforderungserhebung sinnvoll sein, bereits mit Entwicklungsaktivitäten zu beginnen.
- Auch bei der Produktionsplanung ist der Einsatz von Simultaneous Engineering zweckmäßig. Sobald erste Versionen eines Produktes verfügbar sind, kann damit begonnen werden, die Produktion zu planen, während die Entwicklung parallel weiterläuft.
- Ein weiterer Einsatzbereich für Simultaneous Engineering ist die Markteinführung. Parallel zur Produktentwicklung ist diese zu planen und die Organisation ist auf die Einführung der neuen Produkte bzw. Produktfamilien vorzubereiten.
- Simultaneous Engineering kommt aber auch dann vermehrt zum Einsatz, wenn ein Hersteller mit Zulieferern oder Entwicklungsdienstleistern zusammenarbeitet. Die Herausforderungen einer folglich standortübergreifenden Entwicklung liegen im Projektmanagement, im Fehler- /Change-Management sowie im Testmanagement und in der Verwaltung aller projektrelevanten Informationen.
Mit der Parallelisierung sind jedoch auch Nachteile und Risiken verbunden. Deshalb sind Aktivitäten im Entwicklungsprozess nicht beliebig parallelisierbar. Insbesondere bei komplexen Aktivitäten mit hohem Neuheitsgrad ist zu erwarten, dass nur ein geringer Grad von Parallelisierung sinnvoll ist.
Stage-Gate: Ansatz I zur Gestaltung von Innovationsprozessen
Der Stage-Gate Prozess von Cooper stellt einen der bekanntesten und auch am häufigsten angewandten Produktentwicklungsprozesse dar. Beim Stage Gate Process wird der Innovationsprozess in Phasen (Stages) unterteilt, die durch Tore (Gates) getrennt sind. Bei den Gates werden die Projekte geprüft und es wird entschieden, ob sie in die nächste Phase gelangen oder nicht. Durch eine geeignete Wahl von relevanten Entscheidungskriterien bei den Gates soll sichergestellt werden, dass nur die richtigen Projekte fortgesetzt werden und dadurch Verschwendung von Ressourcen vermieden wird. Der Prozess wird häufig von Unternehmen an die jeweilige Firmenstruktur angepasst, indem überlappende bzw. sequentielle Prozesselemente in angemessenem Maße zum Einsatz kommen. Sollen Zeit- oder Produktkosten minimiert werden, wird das Muster überlappender Prozesse bevorzugt. Ein stark sequentieller Prozess hingegen findet Bedeutung, wenn die Entwicklungskosten minimiert und die Risiken kontrolliert werden müssen. Der Nutzen eines Stage-Gate Prozesses liegt darin, dass einem Prozess gewisse Disziplin und Regeln auferlegt werden, die in vielen Unternehmen häufig fehlen. Die Anforderungen sind allen Beteiligten klar und das Projektteam weiß, was an jedem „Tor“ von diesem erwartet wird. Somit liefert der Prozess einen Kurs, um das Projekt zu erleichtern und er verbessert die Definition der Aufgaben und Pflichten eines Projektleiters.
Der oben dargestellte Stage-Gate Prozess wird in fünf Prozessschritte und eine Vorphase eingeteilt:
0. Discovery: Entdeckung, Ideengenerierung;
1. Scoping: Reichweite festlegen, rasche Projektanalyse im Vorfeld;
2. Build Business Case: Rahmen abstecken, deutlich detaillierte Untersuchungen mit erster Forschungsarbeit - marktbezogen wie technisch, Definition von Produkt und Projekt, Rechtfertigung des Projektes, Projektplan;
3. Development: Produktentwicklung, Detailausarbeitung des Designs, Ausarbeitung von Durchführungs- und Herstellungsprozessen;
4. Testing and Validation: Testen und Validieren, Erprobung auf dem Markt, im Labor und in der Fabrik, Marketing, Herstellung;
5. Launch: Markteinführung, Beginn der Produktion, Marketing und Verkauf;
Der Stage-Gate Prozess der ersten Generation wurde beispielhaft zur Verdeutlichung der einzelnen Gates verwendet. Cooper hat diesen Prozess jedoch im Laufe der Zeit an die Entwicklungen angepasst und weiterentwickelt. Das Stage-Gate-Modell der dritten Generation strebt eine Flexibilisierung des Phasenmodelles an. Die Phasen und Tore haben in dieser Generation eher den Charakter von Richtlinien als von konkreten Handlungsweisen und sind dem jeweiligen Projektrisiko angepasst. Die Übergänge zwischen den Phasen sind fließend und die einzelnen Tätigkeiten werden zunehmend gleichzeitig durchgeführt um den Produktentwicklungsprozess weiter zu beschleunigen. Das Modell der dritten Generation kommt den in der Realität ablaufenden Prozessen näher und verringert somit den Implementierungsaufwand.
Entwicklung ist nicht gleich Entwicklung
Nicht jede Art der Entwicklung läuft nach dem gleichen Schema ab. Umfang, Inhalt und sonstige Rahmenbedingungen sind stets unterschiedlich und verlangen nach individuellem Vorgehen. Dazu muss im Vorfeld geklärt werden, was eine neue Idee für das Unternehmen bedeutet.
Um eine mögliche Einteilung in die Arten der Entwicklung vorzunehmen und dabei die für die Entwicklung und die Einführung eines neuen Produktes nötigen Fähigkeiten und benötigte Ressourcen abzuschätzen, können die Dimensionen Markt und Technologie nach folgenden Bereichen gegliedert werden:
Dimension Markt:
- Bestehender Markt: Darunter sind bestehende Ländermärkte, bestehende Kunden oder beispielsweise Branchen zu verstehen, die bereits vom Unternehmen bedient werden.
- Neuer Markt: Unter einem neuen Markt ist die Bearbeitung eines neuen Ländermarktes oder einer neuen Region zu verstehen. Auch neue Kunden(typen) oder die Bearbeitung neuer Branchen sind hier einzuordnen.
- Neues Geschäftsfeld: Ein neues Geschäftsfeld kann so definiert werden, dass einem Unternehmen die Erschließung eines neuen Marktsegmentes möglich wird. Dafür ist meist ein eigener Marktaufbau sowie eine autonome Zielsetzung, Planung und Realisation von Wettbewerbsstrategien nötig. Die organisatorische Verankerung bleibt dabei vorerst unberücksichtigt. Spätestens, wenn ein Unternehmen ein neues Geschäftsfeld in Angriff nimmt, ist eine Neuausrichtung des Vertriebs notwendig.
Dimension Technologie:
- Anpassungsentwicklungen: Anpassungsentwicklungen bauen auf bestehenden Produkten bzw. Plattformen auf, welche bereits am Markt eingeführt und etabliert sind. Es handelt sich grundsätzlich um Market-Pull induzierte Produktentwicklungen. Kundenanforderungen, länderspezifische Anforderungen oder spezielle Anforderungen einer Branche können Auslöser für diese Art der Entwicklung sein.
- Neuproduktentwicklungen: Darunter sind Entwicklungen zu verstehen, die in dieser Form vom jeweiligen produzierenden Unternehmen noch nicht entwickelt worden sind, wobei das technisches Know-how im Unternehmen großteils verfügbar ist.
- Technologieentwicklungen: Unter Technologieentwicklungen ist zu verstehen, dass die Notwendigkeit besteht, sich neue Fähigkeiten im Zuge der Produktentwicklung anzueignen. Es kommen Technologien zum Einsatz, bei welchen es gilt, die technische Machbarkeit abzusichern und in das Produktkonzept zu integrieren. Technology-Push ist demnach der Auslöser für Technologieentwicklungen.
Durch die Verknüpfung der Dimensionen Markt und Technologie wird eine Einteilung in unterschiedliche Arten der Entwicklung ermöglicht. Folgende Grafik zeigt diese Einteilung in neun unterschiedliche Entwicklungsarten:
Je höher der Technologiegrad des zu entwickelnden Produktes oder Systems und je höher die Unsicherheit bzw. fehlendes Know-how auf Marktseite ist, desto erheblicher wird das Risiko sowie der Aufwand. Bei komplexen Entwicklungsprojekten, die den Einsatz von neuen Technologien, Funktionsprinzipien oder Materialien bedingen, steigt demnach die Anzahl möglicher Fehlerquellen. Dieses Risiko nimmt für Unternehmen weiter zu, wenn dadurch eine Geschäftsfelderweiterung erreicht bzw. angestrebt wird.
Auf der anderen Seite steigen natürlich auch die Innovationschancen mit steigendem Technologiegrad bzw. dem Eintritt in einen neuen Markt bzw. ein neues Geschäftsfeld.
Wie so oft macht es die richtige Mischung aus. Ein gesunder Mix aus risikoreichen, technologieintensiven Entwicklungsprojekten in unbekannten Märkten und weniger risikoreichen Projekten unter Einsatz bekannter Technologien in bekannten Märkten ist deshalb anzustreben.
Technology Push vs. Market Pull
Ob Innovationen eher durch „Technology Push“ oder „Market Pull“ induziert werden, hängt von der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens an der Schnittstelle von F&E und Marketing ab. Dabei gibt es wesentliche Unterschiede beider Zugänge.
Folgende Tabelle zeigt Kriterien auf, anhand welcher die beiden Ansätze identifiziert werden können:
Kriterien | Market Pull | Technology Push |
Entstehung der Innovation | Markt | F&E |
Potentielle Marktapplikationen | bekannt | unbekannt |
Marktunsicherheit | niedrig | hoch |
Technologische Unsicherheit | niedrig | hoch |
Informationsgewinnung | KonventionelleMarktforschung | ExplorierendeMarktforschung |
Art der Innovation | Inkrementalinnovation | Radikale Innovation |
Zeithorizont | kurzfristig | langfristig |
Frühzeitige Kundenintegration | unproblematisch | problematisch |
Innovationsprozess | „Stage-Gate“ Prozess | „Probe-and-Learn“- Prozess |
Welche der beiden Grundorientierungen nun am erfolgversprechendsten ist, hängt ganz von der Innovationsstrategie eines Unternehmens ab. (siehe hierzu die Artikel zu Innovationsstrategie)
Auf jeden Fall ist es in der Praxis nicht ratsam die Ansätze in ihrer Reinform anzuwenden. So bergen diese nämlich immanente Gefahren!
Der „Technology Push“ Ansatz kann durch die räumliche und organisatorische Abschottung nicht selten zum Verlust des Marktbezugs führen. „Market Pull“ Strategien führen hingegen oft lediglich zu einem „Face Lifting“ bestehender Produkte, ohne dabei den technologischen Kern des Produktprogramms bzgl. neuer Entwicklungen zu hinterfragen.